Mit der Faust in die Welt schlagenEin fiktiver Ort im Sorbischen zwischen Dresden und Bautzen. Er könnte auch in Mecklenburg liegen oder in Anhalt. Überall dort, wo die Kühe mager sind wie das Glück und wo Arbeit und Freizeit wenig hergeben für jugendliche Kraftprotze mit Hormonen und Ressentiments.

Der Debütroman des 24-jährigen Lukas Rietzschel beschreibt eine Jugend in der ostdeutschen Provinz. Im Jahre 11 nach der Wende hat die Familie ihr eigenes Häuschen – es könnte so schön sein für die Brüder Philipp und Tobias, der gerade in die Schule kommt. Wenn es dort nicht die aberkannten Berufsabschlüsse gäbe, die Umschulungen und sinnfreien Weiterbildungen und “diese ganzen Lehrer, Ärzte, Beamten, Bonzen und Politiker.” “Ich versteh nicht, wie die sich das vorgestellt haben“, sagt der Chef des häuschenbauenden Vaters. “Was uns alles versprochen wurde.”

15, 16 Jahre später hat Philipp halbwegs die Kurve gekriegt, aber aus Tobias ist ein Verteidiger der Heimat gegen die Ausländer geworden, die “aus Lastern und von Schiffen gekrochen kommen” und denen der Westen seine Städte kampflos überlassen hat. Heimatschutz, Bürgerwehr, Proteste, Überfälle, Schlägereien. Bis es soweit ist, geht es in dieser Coming-of-Age-Geschichte gegen Sorbenschweine und Juden und gegen Amerikaner, die immer Krieg für Öl führen, gegen die Scheiß-Gutmenschen und die Volksverräter. Hakenkreuze werden gemalt, Dinge abgefackelt, Böller geworfen, Tiere gequält und vor dem PC im Keller wird masturbiert. Die Älteren sagen nichts, sehen nichts und sind mit sich selbst beschäftigt. Die Sparkasse ist dicht, die Grundschule, die Apotheke, der Bäcker. Alle Strebermädchen sind weggezogen, übrig bleiben die Arbeitslosen und Jobber, die Wütenden, Perspektivlosen und ein paar Leute im öffentlichen Dienst, die das Elend verwalten. Vier Bauern, fünf Arbeitslose, sechs Spitzbuben. “Das System ist am Arsch”, konstatiert der Bescheidwisser-Nazi.

Rietzschel wurde in einem sächsischen Dorf geboren und lebt in Görlitz. Seine Sätze sind meist kurz, die Feststellungen lakonisch. Die Atmosphäre ist sauber beobachtet und dicht erzählt, so oder so ähnlich wird es wohl gewesen sein und ist es dort, wo das flache Land besonders platt ist. Derzeit ist der Autor auch ein gefragter Gesprächspartner, wenn es um Erklärungen geht für rechten Populismus. Warm geworden bin ich mit seiner Geschichte nicht. Die Handlung driftet langsam immer noch ein Stück weiter in Richtung finale Tristesse und Gewalt, die Charaktere erscheinen wie grobe, wenig unterscheidbare Skizzen. Vielleicht passt Gedankentiefe ja nicht zum Stakkato der Jugendsprache und zum politischen Erklärbuch. Kein Sympathieträger, nirgends. Meine Prognose: Spätestens im nächsten Jahr wird die Geschichte verfilmt.

Das Buch ist im Ullstein-Verlag erschienen, hat 320 Seiten und kostet 20 Euro.

 

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