1990 erhielt ein Rentner mit 45 Arbeitsjahren Durchschnittsverdienst 55 Prozent eines durchschnittlichen Arbeitsentgelts, jeweils nach Abzug der Sozialversicherungsbeiträge und vor Steuern. Heute sind es noch 48 Prozent. Ist die Rente sicher? Oder ist sie nur sicher zu niedrig?

Judith Kerschbaumer, Leiterin des Bereichs Sozialpolitik der Gewerkschaft Verdi, gibt Einblick in das Rentenrecht.

Frau Kerschbaumer, wie berechnet sich eigentlich eine Altersrente?
Wie viel Zeit haben Sie? Zunächst werden die sogenannten Entgeltpunkte auf dem Rentenkonto ermittelt. Und dann geht es um deren Bewertung während der Rente. Für die Ermittlung der Entgeltpunkte sind die Zeiten wichtig, für die Beiträge während der Erwerbsarbeit gezahlt wurden. Außerdem fließen dort zum Beispiel Zeiten der Kindererziehung und Pflege ein. Für Beiträge aus Erwerbsarbeit wird Jahr für Jahr der Durchschnittsverdienst aller Versicherten mit dem eigenen Verdienst ins Verhältnis gesetzt. Entspricht der eigene Verdienst exakt dem Durchschnittsverdienst in diesem Jahr, wird dem Rentenkonto ein Entgeltpunkt gutgeschrieben. Bei der Beantragung der Rente werden dann diese Entgeltpunkte und weitere, zum Beispiel aus der Kindererziehung, zusammengezählt. Zum 1.7. eines jeden Jahres wird außerdem der sogenannte aktuelle Rentenwert bestimmt, der aRW. Mit diesem aRW werden die Entgeltpunkte zur Brutto-Rente multipliziert. Der aRW ändert sich jährlich in Abhängigkeit von der Entwicklung der Bruttolöhne, vom Beitragssatz zur Rentenversicherung und von demographischer Veränderungen. Derzeit beträgt der aRW West 32,03, der aRW Ost  30,69 Euro.

Klingt kompliziert.
Und dabei haben wir noch nicht mal über Abschläge und Zuschläge wegen früherer oder späterer Inanspruchnahme der Rente gesprochen, über die stufenweise Heraufsetzung des Rentenalters auf 67 oder über Erwerbsminderungsrente. Abschläge zum Beispiel können durch Zahlungen ausgeglichen werden. Ob sich das lohnt, kommt auf den Einzelfall an. Ich empfehle jedem, sich möglichst früh an einen Versichertenberater/eine Versichertenberaterin oder an Versichertenälteste zu wenden, zum Beispiel bei Verdi.

Wo liegen die Unterschiede bei der Berechnung von Ost- und Westrenten?
Die errechneten Entgeltpunkte beziehen sich immer auf den Durchschnittsverdienst in den alten Bundesländern. Das gilt auch für Zeiten, die in den neuen Bundesländern gearbeitet werden. Weil der Durchschnittsverdienst im Osten aber weit unter dem der alten Bundesländern liegt, werden die ermittelten Entgeltpunkte (Ost) noch mit einem Umrechnungswert multipliziert. So werden die Verdienste Ost den Verdiensten West in etwa vergleichbar gemacht.

Und das ist gut für den Osten?
Ja, weil so für die Rentenpunkte der Verdienst ins Verhältnis zum Durchschnittsverdienst Ost gesetzt wird und nicht ins Verhältnis zum höheren Durchschnittsverdienst im Westen. Ungerechtigkeiten gibt es dennoch, zum Beispiel für Frauen, die in der DDR geschieden worden sind. Und wegen der niedrigeren Durchschnittsverdienste ist der aRW, mit dem die Rentenpunkte multipiliziert werden, in Ostdeutschland geringer. Dieser hängt ja mit von der Entwicklung der Bruttolöhne ab. Hat ein “Standardrentner” mit Durchschnittsverdienst 45 Jahre in den alten Bundesländern gearbeitet, erhält er 1 441 Euro Bruttorente. In den neuen Bundesländern sind es nur 1 381 Euro.

Sind Änderungen in Sicht?
Ja. Ab 2025 gilt ein einheitliches Rentenrecht in Ost und West. Bis dahin wird der aktuelle aRW-Wert Ost in Schritten auf den Westwert angehoben. Wir bei Verdi haben uns zusammen mit anderen Gewerkschaften und mit Sozialverbänden seit langem dafür eingesetzt. Eine Ungerechtigkeit wird dann endlich beseitigt sein. Wir kritisieren, dass damit auch die Um- bzw. Hochwertung der Ostentgelte in gleichem Maße entfällt, wie der aRW Ost angehoben wird. Das benachteiligt die Beschäftigten in den neuen Bundesländern, solange es noch keine einheitlichen Einkommensverhältnisse gibt.

Der Rentenversicherungsbericht der Bundesregierung prognostiziert darüber hinaus, dass das Netto-Rentenniveau vor Steuern bis 2031 auf 44,6 Prozent eines Durchschnittsverdiensts sinken wird, und das trotz steigender Beiträge. Sozial wäre es, das Rentenniveau zunächst zu stabilisieren und dann wieder deutlich anzuheben.

Was raten Sie jungen Menschen, denen die Rente heute noch sehr weit weg scheint?

Zuallererst sollten sich junge Menschen für ihre Rente interessieren, auch wenn die Rentenphase noch in weiter Ferne liegt. Dann sollte versucht werden, einen sozialversicherungspflichtigen Job möglichst in Vollzeit zu guten Verdiensten zu bekommen und Lücken zu vermeiden. Und natürlich müssen sich junge Menschen an der gesellschaftlichen Diskussion um die Alterssicherung beteiligen, denn es geht um ihre Zukunft.

Vielen Dank für das Interview.

Weitere Informationen zum Thema:
Rentenversicherungsbericht der Bundesregierung
Informationen von Verdi

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