Was ist die Medizin gegen Neoliberalismus und kaum noch unterscheidbare Mitte/Links- und Mitte/Rechts-Parteien? Linkspopulismus, meint Chantal Mouffe.

“Dieses Buch hat seinen Ursprung in meiner Überzeugung, dass die Linke dringend begreifen muss, wie sich die aktuelle Lage darstellt und welche Herausforderungen der ‘populistische Moment’ mit sich bringt.” Schon der allererste Satz zeigt das Sendungbewusstsein, mit dem Chantal Mouffe für eine neue linke Hegemonie in Westeuropa sorgen will. Die belgische Autorin ist Jahrgang 1943, gilt als Grand Old Lady der postmarxistischen Theorie und will mit ihrem Buch dazu beitragen, die Ideale der Gleichheit und Volkssouveränität wiederherzustellen.

Mouffe verfolgt dabei einen dissoziativen Ansatz. Während die assoziative Sichtweise das Politische als Feld der Freiheit und des gemeinsamen Handelns hin zum Konsens begreift, betrachtet sie diese Sphäre als Feld des Konflikts und des Antagonismus. Ihr geht es um klare Fronten und um ein “Wir”, das sich gegen ein “Sie” abgrenzt – nicht als antagonistischer Kampf zwischen Feinden, sondern als agonistisches Ringen von Kontrahenten, das den Rahmen der Demokratie nicht zersplittert. Dafür will sie ein in sich differenziertes Volk gegen die Oligarchie in Stellung bringen. Ihre radikaldemokratische Version des Bürgerseins schließt dabei alle zusammen, die gegen Unterdrückungsverhältnisse kämpfen – eine “‘Äquivalenzkette’, die neben den Forderungen der Arbeiterklasse auch jenen der neuen Bewegungen Ausdruck verleiht …”

Von Thatcher lernen heißt siegen lernen
Ähnlich wie es dem Thatcherismus gelungen ist, den keynesianischen Wohlfahrtsstaat gegen den Neoliberalismus einzutauschen, weil Thatcher traditionelle konservative Themen wie Nation und Familie mit Erzählungen des neoliberalen Anti-Etatismus (Steuerzahler gegen Staat) zu einem neuen Narrativ verband, soll jetzt der linke Populismus einen Umschwung bewirken. Dafür benötigt er die Konfrontation zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Projekten, die dem Bürger eine Wahlmöglichkeit und damit eine Stimme gibt: “Die Lösung besteht nicht in der Abschaffung des repräsentativen Systems, sondern darin, unsere Institutionen repräsentativer zu machen.”

Das Buch ist von jener Wissenschaftlichkeit, die sich an Fachkreise und Gesinnungsgenossen richtet, sich gern selbst zitiert und sich wenig bemüht, akademischen Jargon zu vermeiden. Konkret wird es dabei selten. Als Beispiel für den Erfolg linkspopulistischer Strategie führt Mouffe an, dass ein linker Kandidat in Frankreich dem Front National einen Wahlkreis abgejagt hat, weil er das Gespräch mit Arbeitern gesucht habe.

Demokratie bedeutet Entscheidung zwischen Alternativen. Diese Erkenntnis ist nicht neu und wesentlich mitreißender schon bei Karl Popper (“Alles Leben ist Problemlösen”) oder Ralf Dahrendorf (“Die Krisen der Demokratie”) zu lesen. Dass Mouffe eingangs erklärt, wegen der  Spezifik Lateinamerikas den dortigen Populismus nicht zu betrachten, ist eine weitere Schwäche des Buchs. In Venezuela hat Linkspopulismus mit Regierungsmacht zu einer Krise bis kurz vor dem Bürgerkrieg und zur Massenflucht geführt.

Hier schreibt eine Salonmarxistin für Salonmarxisten, die gern wieder Straßenkämpfer wären – aber ohne Blutvergießen. Lesenswert ist das Buch vor allem wegen der Bestrebungen von Sahra Wagenknecht und #Aufstehen, eine linkspopulistische Bewegung in Deutschland zu gründen. Mouffe liefert dafür ein verschnörkeltes Theoriegerüst.

Das Buch ist bei Suhrkamp erschienen und kostet 14,40 Euro.

 

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