Viele Fakten, viel Ideologie
Das Buch schildert Geschehnisse und Verhandlungen auf dem Weg zur Wiedervereinigung und stützt sich dabei auf zahlreiche Quellen: Wer von den SED-Reformern hat damals was mit wem in Moskau besprochen, wer hat sich an die Absprachen nicht gehalten, wie hat sich die Position der Westmächte und der BRD-Regierung hinsichtlich des Tempos der Vereinigung entwickelt, wie haben sich SED-Gremien umstruktuiert. Eine in Umrissen chronologische Darstellung ist eingebettet in Überlegungen grundsätzlicher Natur. Das ist sehr faktenreich und interessant, wenn zum Beispiel anhand von Dokumenten versucht wird, die Motive Schabowskis für seine Grenzöffnung via Pressekonferenz und dem “… gilt das unverzüglich, sofort” zu enträtseln (nach Meinung der Autoren weder ein Versehen noch Uninformiertheit, sondern Eigendarstellung, um Krenz die Show zu stehlen) oder die einzelnen Berater Gorbatschows zu Wort kommen. Kompliment für diesen Detailreichtum.
Die Autoren, bei der Erstveröffentlichung des Buchs knapp 70 und knapp 80 Jahre alt, trauern dem nach, was aus der DDR hätte werden können, wenn sich 1989/90 nur die richtigen Reformer durchgesetzt hätten. Sie bleiben dabei den Dogmen ihres DDR-Lebens auf eine Weise verhaftet, die auf starken Glauben oder Altersstarrsinn hindeutet und dem Buch einiges von seiner Wirkung nimmt: Lenin war gut, Krenz ein Hoffnungsträger und Reformer, der Klassengegner kocht sein Süppchen. Und da stehen sie dann auch ohne erkennbare Distanz, die realsozialistischen Sprachfloskeln von der UdSSR als dem ersten Arbeiter- und Bauernstaat, der Unverbrüchlichkeit usw. Der Rückblick auf die DDR ist verklärt, der kurze Blick in die Gegenwart am Ende des Buchs getrübt. Das wirkt so, als ob jemand zwar nicht in der Lage ist, Ursachen einer Erkrankung zu diagnostieren, aber trotzdem schon mal eine Gallone vom einzigen im Haus vorhandenen Medikament anschleppt – mit abgelaufenem Haltbarkeitsdatum.

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